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Kolumne im Magazin «Schweizer Monat»
Freiheit - ein Gefühl: https://schweizermonat.ch/author/christinebrand/
Mit zwei Paar Schuhen
um die Welt
Um glücklich zu sein, brauche ich keinen vollen Kleiderschrank. Das habe ich auf meiner Weltreise gelernt.
von Christine Brand
Sich vom Konsum loszusagen, scheint gerade im Trend zu sein. Es werden Workshops angeboten, um zu lernen, wie man sich dem Kaufrausch entzieht. Journalisten verzichten heroisch ein Jahr lang auf Konsum, um über diesen Selbstversuch zu berichten. Verzicht ist hip.
Mir dagegen ist es einfach so passiert, und ich hätte es beinahe nicht einmal bemerkt.
Ich stellte es überrascht fest, als ich kürzlich auf dem Trödlermarkt eine Secondhand-Jacke kaufte: Es war das erste Mal seit weit über einem Jahr, dass ich mir ein Kleidungsstück gekauft habe. Bemerkenswert ist das deshalb, weil ich bis anhin zu jener Sorte Frau gehörte, die sich im Durchschnitt alle paar Wochen einen Rock kauft, weil er ihr ein bisschen besser gefällt als das fast identische Stück, das bereits in ihrem Kleiderregal liegt. Und die in unerschütterlicher Regelmässigkeit mit einem glücklichen Grinsen im Gesicht ein Zalando-Pack vom Briefträger in Empfang nimmt.
Ohne dass es mir bewusst war, habe ich mit dem Kaufen neuer Kleider aufgehört. Der Grund ist einfach. Auf meiner Weltreise lebte ich sieben Monate lang aus meinem Rucksack. Die Auswahl an Anziehsachen war gering. Schuhe etwa hatte ich gerade mal zwei Paar dabei: Joggingschuhe und Sandalen. Wie einfach es doch war, sich für A oder B zu entscheiden! Wieder zu Hause aber stand ich vor meinen Kleidern und Schuhen und fühlte mich überfordert. Viel zu viel Auswahl!
Mein einziger Gedanke war: Ich besitze zu viel. Ich gab also die Hälfte davon weg und hörte auf, Neues zu kaufen. Nicht weil ich nicht mehr kaufen wollte. Sondern weil ich bei jedem Teil dachte: Dieser Rock sieht doch jenem ähnlich, den ich gerade in die Kleidersammlung gebracht habe, und es wäre ziemlich doof, den jetzt zu kaufen.
Als ich mir kürzlich ein T-Shirt überzog, machte es «ratsch», und da war es: ein Loch. Ich nahm ein anderes Shirt aus dem Regal und entdeckte, dass auch das Löcher hatte. Also ist es wohl schon mal wieder an der Zeit, shoppen zu gehen! Dieses Mal habe ich sogar einen Grund dafür.
Das Geld im Kopf
Ein Freund von mir würde gerne unbezahlten Urlaub nehmen. Doch es steht ein grosses «Aber» im Weg.
von Christine Brand
Ich habe einen Freund, der in der Tourismusbranche arbeitet. Als CEO bezieht er einen satten Lohn, und ich glaube, er ist ein guter Chef; er rät seinen Mitarbeitern, hin und wieder unbezahlten Urlaub zu nehmen, denn Reisen ist für ihn Weiterbildung. Auch mein Freund hätte Urlaub nötig. Er wirkt ausgebrannt, ist ständig krank. Er sagt, er würde gerne unbezahlten Urlaub nehmen. Er sagt, es wäre problemlos möglich. Und dann sagt er: «Aber…» Denn er beginnt zu rechnen: Drei Monate Lohnverzicht bedeutet in seinem Fall, eine grosse Summe Geld nicht einzunehmen. Dass mein Freund so viel verdient, dass er locker nur jeden zweiten Monat arbeiten müsste, ist ihm zwar bewusst, doch es nützt nichts. Das «Aber» versperrt ihm die Sicht auf das, was er mit einem unbezahlten Urlaub gewinnen könnte. Er sieht einzig seinen Einkommensverlust. Dabei kann man gar nicht verlieren, was man noch nicht verdient hat.
Ich hatte 23 Jahre lang einen festen Lohn. 299 Monatslöhne. Seit ich kein geregeltes Einkommen mehr habe, versuche ich einfach so viel zu verdienen, wie ich brauche. Das hat zur Folge, dass ich anders über Geld denke als zuvor: Es hat jetzt stets einen konkreten Gegenwert. Während früher jeden Monat die Lohnsumme auf meinem Konto aufploppte und ich mich sorglos daran bediente, weiss ich heute genau, wofür ich gerade arbeite: der Vorschuss für meinen Krimi deckt die Miete für mein WG-Zimmer in Zürich und die Versicherungen. Meine letzte Gerichtsreportage brachte mir 1500 Franken ein: damit bezahlte ich einen Flug nach Sansibar (700 Franken), meine hiesige Monatsmiete (290 Franken), der Rest fliesst in die AHV und die Pensionskasse. Das Geld, das ich mit dieser Kolumne verdiene, wird mich hier eine Zeitlang ernähren. Ich schreibe sie in einem Café mit Blick auf das quecksilberblaue Meer. Die Sonne verglüht gerade am Horizont. Vielleicht gibt es einfach zu viele «Abers» in unserem Denken und das Geld nimmt zu viel Platz ein in unseren Köpfen. Ich werde meinem Freund heute noch eine Postkarte schreiben.
Freiheit gewinnen
durch loslassen
von Christine Brand
Vor genau einem Jahr gab ich meine Wohnung auf, die ich geliebt habe. Ich kündigte meine Stelle, die mein Traumjob war. Und ich verschenkte die Hälfte meines Besitzes. Mit so wenig Hab und Gut wie nie zuvor zog ich in ein Zimmer einer Zweizimmerwohnung eines mir bis dahin fremden Mannes. «Bist du wahnsinnig geworden?», fragte man mich, und ich musste grinsen. Tatsächlich war ich der Unvernunft noch nie abgeneigt, sofern sie das Leben spannender machte.
Bald zeigte sich: das Loslassen war das Vernünftigste, das ich seit langem getan hatte. Es war der Preis, den ich zu bezahlen bereit war, um etwas anderes zu gewinnen: Freiheit. Ganz so einfach aber ging es dann doch nicht: meinem Entscheid, mein ganzes Leben umzukrempeln und fortan auf festen Lohn und Wohlstand und Sicherheit zu verzichten, gingen einige schlaflose Nächte voraus.
Auch das Zuviel an Besitz loszuwerden, war schwieriger als gedacht – aber viel freudvoller als erwartet. Als ein Flüchtling freudestrahlend meinen Fernseher aus der Wohnung trug, ertappte ich mich dabei, mich so zu freuen wie er. Wie viel Zeit ich gewinnen würde, die ich nicht länger vor der Kiste auf dem Sofa vertrödle! Wobei, auf welchem Sofa? Das war ja doch auch schon weg.
Mein einfaches WG-Zimmer ist nun mein Basislager. Der eingesparte Mietzins erlaubt mir, immer wieder loszuziehen und in der Welt zu Hause zu sein. Den letzten Winter habe ich auf Sansibar verbracht und demnächst werde ich vier Monate lang durch Südostasien reisen. Das Loslassen hat mein Leben grösser gemacht, weiter.
Heute wundere ich mich, warum ich das erst mit 44 und nicht schon viel früher wagte. Fast fühlt es sich so an, wie wenn man sich aus einer längst kaputten Beziehung befreit: man wartet viel zu lange, bis man den Schritt endlich macht. Und dann lässt schon der erste Tag des neuen Lebens die Ängste merkwürdig aussehen, die einen davon abgehalten hatten, es früher zu tun.